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Editorial II

Die Wirkung, die beim Zuschauen und Zuhören bei Äusserungen medialer Gewalt entsteht, ist erst dann eindeutig nachweisbar, wenn als Folge dieser Wirkung eine Tat verübt wird, die das Leben anderer Menschen unmittelbar betrifft. Kurz: erst wenn jemand infolge seines Konsums brutaler Medien gewalttätig wird, wie unlängst Christian (14 Jahre alt), der als Medienheld Jason seine Cousine und Tante lebensgefährlich verletzt hat, oder wenn über eine der vielen Tragödien in den USA eine Nachricht um die Welt geht, wie im März d. J. über das Massaker in Littleton - erst dann wird wahrgenommen, dass die Wirkungen des brutalen Medienangebotes auf unsere Psyche verheerend sind.

Die Brutalisierung und die Trivialisierung des Medienangebotes nimmt aber indes weiter zu, als sei es eine Naturgewalt, mit der man leben muss. Während unserer Diskussion in einer Schule über gute und schlechte Filme sagte ein Schüler der 7. Klasse, sein Lieblingsfilm sei "Das Schweigen der Lämmer". Er weiß vielleicht noch nicht, dass in Niedersachsen ein Verbrecher nach dem Muster dieses Films handelt und schon drei Opfer gefunden hat.

Die bewegten Bilder haben eine große Suggestivkraft. Das Argument, Gewalt hat es schon immer gegeben, - sehen Sie sich nur die Märchen an, - kann in der Diskussion um die Berechtigung der medialen Gewalt im Audiovisuellen nicht gelten. Die geschriebene, erzählte Geschichte regt meine Phantasie an und ich verarbeite sie aus meinen Erfahrungen heraus.

"Diese Möglichkeit hat der Seher von Bildern nicht, er wird mit Darstellungen konfrontiert, die weit außerhalb seiner Erfahrungen liegen und daher auch belasten können. Insoweit kann von Bildern eine diktatorische Präsenz ausgehen, denen der einzelne wehrlos gegenüber-steht," so schreiben Ursula Martin-Newe, Angela Riesenberg in ihrem Artikel "Medienfreizeit" über den Beitrag der Medien zur Jugendgewalt", in der BIL-Ausgabe zu dem Problem (1994, S. 25). Auch dann, wenn wir erwachsen sind und eine medienspezifische Bildung haben, sind wir dem Bild der Gewalt in den Medien wehrloser gegenüber als einem erzählten Märchen, denn es lagert sich in unserem Unterbewußtsein ab und wirkt weiter. Diese Wirkung zeigt sich vorerst vielleicht auch dadurch, dass wir gegenüber dem Gewaltangebot abgestumpft sind. Wir nehmen nicht zur Kenntnis, dass es weitgehend der Zerstreuung dient und im geistigen Sinne keine Bereicherung für uns ist.

Heute verdrängt die Quantität des Angebotes dessen qualitative Möglichkeiten. Technisch gesehen, könnten auch tausend Programme eingerichtet werden. Wenn keines mehr auskommen kann, ohne die Würde des Menschen zu verletzen, dann ist es Zeit für ein Signal, eine verbindliche, aufrichtige Fernsehkommunikation für die breite Öffentlichkeit zu ermöglichen.

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