Logo

Stellungnahme zur Tragödie in Winnenden

Das Fundament unseres Grundgesetzes bildet das Sittengesetz. Dieses bezieht sich auf eine ideale Welt, die aber das Gesicht unserer Lebenswelt bestimmt. Wenn wir "Unterhaltungsgewalt" zulassen, nehmen wir dieser Lebenswelt ihr menschliches Gesicht.

Winnenden vom 11. März 2009 zeigt uns dies erneut. Ein Siebzehnjähriger kann in Deutschland ein Massaker anrichten, und die Gesellschaft stellt sich hilflos, als könne man dergleichen kaum verhindern. Wie viele Opfer brauchen die Entscheidungsträger noch, um zu der einfachen Einsicht zu kommen, dass mit dem virtuellen Töten ein Gesetzes - Bruch einhergeht, und dass in einem freiheitlichen Staat solche Produkte gar nicht erst erlaubt sein dürften.

Für die geistigen Bedingungen, unter welchen unsere Kinder aufwachsen, sind alle Erwachsenen verantwortlich, nicht nur die Eltern, Lehrer und Erzieher. Die Frage des Innenministers Wolfgang Schäuble in Bezug auf die Tragödie in Winnenden trifft das Problem genau: "Was ist in unserer Gesellschaft los?"

Es ist beschämend, dass der vermeintliche Streit über die scheinbar nicht bewiesene Wirkung der medialen Gewalt auch jetzt immer noch fortdauert. Seit Jahren warnen die Wirkungsforscher über die verheerenden Folgen audiovisueller Gewaltmedien. Warum werden sie nicht gehört? Warum werden die Erkenntnisse der Neurobiologie, die das gleiche bewiesen hat, nicht ernst genommen?

Die "Unterhaltungsgewalt" ist eine Perversion, doch die audiovisuellen Medien aller Formate sind überfüllt damit. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören, unseren Kindern die Sinnfindung künstlich zu erschweren! Wer heute behauptet, dass die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands mit dem virtuellen Töten einverstanden sei, kann dies mit gutem Gewissen nicht tun. Um weitere Opfer zu vermeiden und das Lebensklima mit mehr Empathie auszustatten, muss das audiovisuelle Medienangebot geändert werden. Dies wird nicht leicht sein, aber es muss getan werden, denn das Problem, das wir hier lösen müssen, spitzt sich sonst weiter zu und trifft uns alle.

Ohne ernsthaftes Nachdenken über unser Grundgesetz und die Zeit, in der es vor 60 Jahren verfasst worden ist, dürfte eine Änderung schwer fallen. Die Überlegung eines bedeutenden Ethikers, des Philosophen Vittorio Hösle mag uns dabei behilflich sein: " Kants Ethik kann die Überwindung des formalen Freiheitsbegriffs lehren, der glaubt, Freiheit bestehe darin, das zu tun, was man wolle; sie kann die Einsicht auf das Problem lenken, dass Freiheit vielmehr im richtigen Wollen besteht - wer Illegitimes will, ist unfrei, da seine Bedürfnisse nicht aus dem Wesenskern seiner Persönlichkeit stammen, sondern heteronomer Natur sind: durch angeborene Triebe, durch die Gesellschaft usf. induziert." Die Worte Konrad Adenauers, "Macht bedeutet Verantwortung. Jeder von uns muss sich bewusst sein, dass er mitverantwortlich ist," gelten gewiss noch heute. Und sie bedeuten:

Es muss gehandelt werden.

Berlin, im März 2009

Der Vorstand

info@sichtwechsel.de