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Über die Notwendigkeit interdisziplinärer Studien zu den Wirkungen medialer Gewalt

Auch wenn es ungewöhnlich viele Publikationen über Gewaltdarstellungen in den Medien und ihre Wirkungen gibt, halten sich die meisten Autoren - aus den verschiedensten Gründen - zurück, die Schädlichkeit dieser Darstellungen zu belegen, obwohl es kaum jemanden gibt, der daran echt zweifelt.

Uns geht es darum, wissenschaftliche Argumente zu gewinnen, die für die Einrichtung eines gewaltfreien Fernsehprogramms in Deutschland sprechen, besonders jetzt, da die Änderung der Medienlandschaft immer dringlicher wird.

Gegenwärtig scheinen uns darum Studien sinnvoll, die praktikable Strategien des Erkenntnisgewinns zu dem Problemkreis aufzeigen, welche von der Benennung angemessener wissenschaftlicher Forschungsthemen bis zu den Möglichkeiten reichen, Erfahrungswerte aus lebensweltlichen Zusammenhängen zu bündeln, wie sie von Interessierten - Eltern, Pädagogen, Sozialarbeitern, Juristen, Ärzten, Psychologen u.v.a. - eingebracht werden.

So gibt es vermutete Wirkungszusammenhänge, die bisher erklärtermaßen nur unzureichend wissenschaftlich untersucht wurden, etwa den Zusammenhang zwischen Habitualisierung von Fernsehgewalt, Nutzung reflexionshemmender Dramaturgien in den Fernsehprogrammen und der Spezifik der Abbildungs- und Wahrnehmungsprozesse, die es den audiovisuellen Medien gestattet, die Grenze zwischen realer Lebenswelt und den künstlichen Medienwelten bei der Rezeption auf eine Weise zu manipulieren, die dem Zuschauer nicht bewusst wird.

Vermutlich liegt in diesem Funktionszusammenhang eine wichtige Ursache dafür, dass der ständige Konsum von Fernsehgewalt die Sensibilität gegenüber Gewalt beim Zuschauer generell abbaut und sie als alltäglich-normal erscheinen lässt. Dies kann dann unterschiedliche Folgen haben - darunter jedoch keine einzige positive. Bestimmte Macharten von Fernsehsendungen sorgen dafür, dass der Zuschauer nur bedingt reflexions- und kritikfähig gegenüber dem Gezeigten ist; sie machen die Gewalt zur Unterhaltung. Und die Spezifik der Filmwahrnehmung verstärkt diese Unfähigkeit zur Reflexion, weil die Abbildungen der audiovisuellen Medien generell den Prozess der Informationsverarbeitung auf eine Weise verändern, dass die Realitätsmomente nur selektiv und in abgewandelter Form an den Zuschauer herangetragen werden, jedoch so, dass er sich diese Verschiebung innerhalb der sinnlichen Erkenntnisprozesse nicht bewusst machen kann, die Manipulation nicht einmal bemerkt.

Der Geschehenswahrnehmung der fiktiven Vorgänge folgend, die seine natürlichen Wahrnehmungsprozesse simuliert, ist der Zuschauer auch der Dynamik der gezeigten Geschehnisse ausgeliefert, so dass er damit oftmals unbewusst zum Komplizen der Gewalttäter auf dem Bildschirm wird. Die bisherigen wissenschaftlichen Studien scheinen dem Phänomen der medial vermittelten Gewalt offenbar nicht hinreichend gewachsen zu sein, vermutlich, weil dessen Analyse eine große Komplexität und Interdisziplinarität der Forschung voraussetzt. Nötig ist eine Verständigung der Gesellschaft auch über diese schwierige Situation der Wissenschaft. Wenn letztere bisher nicht plausibel nachweisen konnte, welche Wirkungen Mediengewalt hinterlässt, dann ist dies nicht als Beleg für deren Harmlosigkeit anzusehen, sondern eher als Aufforderung, die Anstrengungen der Wissenschaft zu vergrößern.

Das Spektrum für die möglichen Erkenntnisstrategien wird von uns sehr weit gesehen. Es reicht von der Realisierung differenzierter wissenschaftlicher Studien bis zur Diskussion elementarer Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Alltag, wie jeder Interessierte sie machen kann. Fälle der Nachahmung der medialen Gewalt sind dafür ebenso zur Kenntnis zu nehmen wie die Eindrücke vieler, die Senkung der Hemmschwellen für Ausübung und Tolerierung von Gewalt bei Kindern und Jugendlichen betreffend. Wichtig ist also die Breite der empirischen Anstrengungen. Engagierte Wissenschaftler sind auch darin zu bestärken, Fragestellungen aufzunehmen, die Teilaspekte des zentralen Problems oder verwandte Themen berühren. Die Habitualisierungs-Problematik etwa ist für sich genommen schon ein umfangreiches Forschungsfeld, ebenso die der Filmwahrnehmung oder der Mediendramaturgie. Daneben ist es sinnvoll, Untersuchungen zur spezifischen Wirkungsweise der audiovisuellen Medien im Vergleich zu anderen Bereichen der kulturellen Kommunikation zu führen. Man sollte ferner über die Zusammenhänge zwischen Information, Bildung, Erkenntnis, Affekten und Unterhaltung einerseits und den ethisch-moralischen Normen eines Gemeinwesens andererseits befinden. Aus dem Studium des öffentlichen und moralischen Auftrages der audiovisuellen Kommunikation und der Betrachtung dessen, wie die gegenwärtig etablierten Fernsehanstalten diesem Auftrag gerecht werden, ergeben sich dann die Veränderungsstrategien für das Medienangebot. Hierbei Veränderungen zugunsten der Kinder zu treffen, die ja heute alles sehen können, ist das Gebot der Stunde. "Unsere Kinder - unsere Zukunft" ist der Titel eines kleinen Buches ( Hrsg.: Klaus B. Conrad), in dem die Problematik in ihrer ganzen Breite angesprochen wird. Zu den dort benannten Schwerpunkten muss weiterhin geforscht werden.

Sichtwechsel e.V. für gewaltfreie Medien versucht im Kontakt zu Wissenschaftlern und Einrichtungen der Forschung Projekte auf diesem Gebiet anzuregen.

Strand

Foto: Hans-Eberhard Leupold